Der Krieg als großer Zerstörer - Bei „München liest aus verbrannten Büchern“ trägt Stiftungsdirektor Freller Passagen aus Adam Scharrers „Vaterlandslose Gesellen“ vor
Scharrer gilt als einer der ersten „Arbeiterschriftsteller“ in Deutschland. Sein Werk „Vaterlandslose Gesellen“ wurde als eine Abrechnung mit dem Wilhelminischen System und dem von diesem angezettelten ersten Weltkrieg gelesen. „Vaterlandslose Gesellen“ war im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert im Kaiserreich ein gängiges Schimpfwort für Kommunisten, Sozialisten und Sozialdemokraten. Es wird dem Kanzler Otto von Bismarck zugeschrieben. Die Bezeichnung geht auf ein Zitat aus dem Manifest der Kommunistischen Partei zurück, das heißt: „Die Arbeiter haben kein Vaterland.“ Der berühmte Autor Ludwig Thoma benutzte 1913 den Ausdruck „Vaterlandslose Gesellen“ als Titel für ein Gedicht in seiner Sammlung „Peter Schlemihl“. Darin kritisierte er den Unterschied zwischen Arm und Reich und kehrte das Bild der „Vaterlandslosen Gesellen“ um, indem er den Reichen vorwirft, für sie habe das Vaterland nur materielle Bedeutung. Während Scharrers Werke nach dem Ende des zweiten Weltkrieges in der DDR rezipiert wurden, verschwanden sie in der Bundesrepublik Deutschland unter dem Vorwurf, kommunistisch zu sein, aus der öffentlichen Wahrnehmung.
Adam Scharrer wurde am 13. Juli 1889 als Sohn eines Hirten in Kleinschwarzenlohe in Bayern geboren. Ab 1929 wirkte er als Schriftsteller und Redakteur der "Kommunistischen Arbeiterzeitung" in Berlin. 1933 emigrierte Scharrer über die Tschechoslowakei in die Sowjetunion, wo er bis 1945 blieb. Seine Romane spielen gern im bäuerlichen und im Arbeitermilieu. Als sein Hauptwerk gilt "Vaterländische Gesellen". Er starb am 2. März 1948 in Schwerin.
Die „schwarzen Listen“ und ihre Folgen
Die Werke verbotenen Autorinnen und Autoren wurden während der Nazi-Diktatur anhand der sogenannten ‚schwarzen Liste‘ von Universitätsbibliotheken, Leihbüchereien und Buchhandlungen ausgesondert. Die entsprechenden Bücher wurden dann in öffentlich inszenierten Verbrennungen „wider den undeutschen Geist“ dem Feuer anheimgegeben. München organisierte gegen das angeblich „volkszersetzende Schrifttum“ eine pompöse Veranstaltung im Lichthof der Münchner Universität am 10. Mai 1933. Nach einem nächtlichen Fackelzug durch die Stadt wurde auf dem Königsplatz der Verbrennungsakt inszeniert, die Bücher der „Reichsfeinde“ auf einen Scheiterhaufen geworfen. Nur wenige Monate nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten beteiligten sich freiwillig tausende Münchnerinnen und Münchner an dieser Bücherverbrennung, die von Studierenden der Münchner Universitäten und dem Rektor der LMU organisiert war.
Verbrannt wurden Bücher von Autorinnen und Autoren wie Bertolt Brecht, Lion Feuchtwanger, Sigmund Freud, Erich Kästner, Irmgard Keun, Heinrich Mann, Erich Mühsam, Erich Maria Remarque, Joseph Roth, Anna Seghers, Ernst Toller, Kurt Tucholsky, Arnold Zweig, Stefan Zweig und eben Adam Scharrer. Viele der damals verbrannten Bücher sind bis heute weitgehend unbekannt.
„Damit kein Gras über die Geschichte wächst“, organisiert der bekannte Aktionskünstler Wolfram P. Kastner seit 1995 eine öffentliche Lesung, bei der er stets mit einem Brandfleck auf dem Rasen an die Bücherverbrennungen des Jahres 1933 auf dem Königsplatz in München erinnert. Die diesjährige Lesung hat zum Motto ein Zitat der Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner, deren Bücher ebenfalls verbrannt wurden, „Die Waffen nieder!“ Der Oberbürgermeister der Stadt München, Dieter Reiter, hat die Schirmherrschaft über die Veranstaltung, in der auch der aktuelle, völkerrechtswidrige Angriffskrieg von Russland gegen die Ukraine ein Thema ist.
Die Bücherverbrennung als „Vorspiel“ zum Massenmord
Ab März 1933 wurden in über 60 deutschen Städten und später in den besetzten Ländern Bücher und Bibliotheken verbrannt. Diesem Tun folgte die Zerstörung von Städten und Ländern und die Vernichtung von Menschen. Schon 1821 hatte der Dichter Heinrich Heine in seiner Tragödie „Almansor“ über ein ähnliches Ritual in Spanien formuliert: „Das war ein Vorspiel nur! Dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.“ Genau so kam es: Von den Scheiterhaufen für Bücher führte ein kurzer Weg zu den Verbrennungsöfen der Vernichtungslager.
Bilder: Stiftung Bayerische Gedenkstätten
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